Waldameisen im Kanton Graubünden
Graubünden ist der einzige Kanton, in welchem alle Arten der Waldameisen (F. rufa-Gruppe) vorkommen. Dies ist nicht erstaunlich, ist doch Graubünden der grösste Kanton der Schweiz und weist dank seiner Topographie eine hohe Vielfalt an Lebensräumen auf. Der tiefste Punkt des Kantons liegt im Val Mesocco auf 260 müM, der höchste Punkt mit 4049 müM auf dem Piz Bernina. Da die Waldameisen für den Bau ihrer Nestkuppen Nadeln von Nadelbäumen benötigen, sind sie auf das Vorhandensein von Wäldern, Hecken und Feldgehölzen mit Nadelbäumen angewiesen. Graubünden weist eine Waldfläche von 200’800 ha oder 28 % des Kantosngebietes auf, davon sind rund 83% Nadelbäume. Die Waldameisen finden deshalb vielerorts in Graubünden geradezu ideale Voraussetzungen. Mit dem Schweizerischen Nationalpark im Unterengadin besteht ausserdem seit 1914 ein seither unberührtes Schutzgebiet. Der Nationalpark und das Unterengadin zählen zu den am besten untersuchten Gebieten bezüglich Fauna und Flora. So hat bereits Kutter 1975 eine Übersicht über die im Unterengadin vorkommenden Ameisenarten publiziert und konnte alle damals bekannten Waldameisenarten im Nationalpark nachweisen. In Graubünden sind die Waldameisenarten vom tiefsten Punkt bis in eine Höhe von rund 2300 müM zu finden; der momentan höchste Fund stammt aus 2270 müM am Pass dal Fuorn (Ofenpass) im Val Müstair. Am häufigsten anzutreffen sind F. rufa und F. lugubris; letztere bildet oft grosse Kolonien mit 30 und mehr Nestern. In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde von Forschern der Universität Lausanne im Nationalpark eine neue Art entdeckt, welche der koloniebildenden F. lugubris sehr ähnlich ist und den Namen F. paralugubris erhielt. Im Jahr 2009 wurde ebenfalls im Nationalpark von Christian Bernasconi eine weitere Waldameisenart beschrieben (Bernasconi, Cherix). Äusserlich lässt sich diese von F. lugubris nicht unterscheiden. Sowohl genetisch wie physiologisch und vom Verhalten her unterscheidet sie sich aber deutlich von den anderen Arten. Offiziell hat diese Art noch keinen Namen; eine mögliche Bezeichnung könnte F. helvetica sein, was auf ihre Entdeckung in der Schweiz hinweisen würde. Trotz guter Voraussetzungen für das Vorkommen der Waldameisen in Graubünden sind diese Arten auch in diesem Teil der Schweiz gefährdet. Die Hauptursache ist auch hier immer wieder der Mensch mit seinen zunehmenden Raumansprüchen und seinen Freizeitaktivitäten. Mit der weiteren Erforschung der Waldameisen sollen die Kenntnisse über diese Arten vertieft werden, damit die Grundlagen für einen wirksamen Schutz dieser ökologisch wichtigen Arten geschaffen werden können. So wird die Universität Lausanne ihre Forschungen an Waldameisen im Nationalpark weiterführen. Ein Inventar mit über 700 Funddaten soll in nächster Zeit ausgewertet und weiter ergänzt werden. Auch eine Weiterbildung von Förstern und Naturfreunden soll ins Leben gerufen und nicht zuletzt die Bevölkerung und Feriengäste durch Öffentlichkeitsarbeit wie Vorträge und Exkursionen für die Bedeutung der Waldameisen im Ökosystem sensibilisiert werden.
Monica Kaiser-Benz, dipl. phil II, mit der Unterstützung des Amtes für Wald und Naturgefahren Graubünden